
Pflegekräfte am Wendepunkt: Herausforderungen, Potenziale und der Weg in die Zukunft
Murilo de Melo, 9. Sept. 2024
Die Pflegebranche in der Schweiz steht vor enormen Herausforderungen, aber auch Chancen. Der Mangel an Pflegepersonal, die Belastung der Pflegekräfte und unzureichende Arbeitsbedingungen führen zu einer Krise, die sowohl das Gesundheitssystem als auch die Pflegenden selbst belastet. Gleichzeitig gibt es konkrete Lösungen und Potenziale, die eine positive Wende ermöglichen können. In diesem Artikel werden die Kernfaktoren des Personalmangels und der Arbeitsbelastung dargestellt, unterstützt durch Statistiken und Diagramme, die das aktuelle Bild des Pflegesektors in der Schweiz zeichnen. Zudem werden zukunftsorientierte Strategien und Technologien vorgestellt, die dazu beitragen können, die Attraktivität der Pflegeberufe zu steigern.
Aktuelle Herausforderungen im Pflegesektor
Personalmangel: Ein wachsendes Problem
Laut dem Bundesamt für Statistik ist der Pflegepersonalbestand zwischen 2012 und 2018 um 17 % gestiegen, was auf die zunehmenden Anforderungen durch die alternde Bevölkerung zurückzuführen ist. Trotz dieser Steigerung reicht der Zuwachs nicht aus, um die Versorgungslücken zu schliessen. Insbesondere im Bereich der Spitex und in Pflegeheimen ist der Bedarf stark gestiegen, während die Anzahl der diplomierten Pflegefachkräfte nur moderat zunahm. Diese Diskrepanz führt zu einer Überlastung der vorhandenen Pflegekräfte.
Stress und Überlastung
Ein weiterer gravierender Faktor ist die hohe Arbeitsbelastung. Viele Pflegekräfte verbringen die Hälfte ihrer Arbeitszeit mit administrativen oder logistischen Aufgaben, die wenig mit der direkten Patientenpflege zu tun haben. Dies trägt erheblich zur Frustration und Überlastung bei, da Pflegekräfte nicht die Zeit haben, die sie sich für die eigentliche Pflege ihrer Patienten wünschen.
Ein Bericht von PwC zeigt, dass die Einführung eines effizienteren "Skill-Grade-Mix" in Spitälern und Pflegeeinrichtungen helfen könnte, diese Zeit effizienter zu nutzen und Pflegekräfte zu entlasten. Dabei sollten Aufgaben besser verteilt und klar definiert werden, um Pflegepersonal zu entlasten und den Fokus auf die Patientenpflege zu lenken.
Mangelnde Wertschätzung und Karrierechancen
Eine der häufigsten Ursachen für Unzufriedenheit im Pflegeberuf ist die mangelnde Wertschätzung. Pflegekräfte fühlen sich oft unterbezahlt und unzureichend unterstützt. In vielen Fällen sind die Karrieremöglichkeiten begrenzt, was den Beruf für jüngere Generationen weniger attraktiv macht. Gleichzeitig haben sich die Anforderungen an den Pflegeberuf erhöht, insbesondere durch den Bedarf an spezialisierter Pflege und komplexer werdende Patientenbedürfnisse.
Ein besonders gravierender Faktor ist die kurzfristige Planung von Arbeitseinsätzen, die für viele Pflegende extrem belastend ist. Ein neues Bundesgesetz sieht hier strengere Vorgaben vor, die die Dienstplanung mindestens vier Wochen im Voraus festlegen sollen, um die Planbarkeit für Pflegekräfte zu verbessern
Temporärarbeit als kurzfristige Lösung
Zusammenhang zwischen Temporärarbeit und Pflegekräften
Der Mangel an festangestellten Pflegekräften hat viele Gesundheitseinrichtungen dazu veranlasst, vermehrt auf Temporärarbeitende zurückzugreifen, um kurzfristige Personallücken zu füllen. Temporäre Arbeitskräfte bieten den Einrichtungen die Flexibilität, auf schwankende Bedürfnisse zu reagieren, ohne langfristige Verpflichtungen einzugehen.
Für viele Pflegekräfte bietet Temporärarbeit auch Vorteile, da sie flexiblere Arbeitszeiten ermöglicht und so die Vereinbarkeit von Beruf und Familie verbessert. Besonders junge Pflegefachkräfte schätzen die Möglichkeit, Arbeitszeit und Freizeit selbstbestimmter zu planen.
Steigende Anzahl Temporärarbeitender
In der Schweiz ist die Zahl der Temporärarbeitenden im Gesundheitswesen in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Dieser Trend lässt sich direkt auf die oben beschriebenen Faktoren wie Arbeitsüberlastung und Personalmangel zurückführen. Temporärarbeit wird oft als Notlösung gesehen, um den akuten Bedarf zu decken, führt jedoch langfristig zu Herausforderungen hinsichtlich der Kontinuität in der Patientenbetreuung.
Temporärarbeit: Kurzfristige Entlastung, aber keine langfristige Lösung
Obwohl Temporärarbeit kurzfristig Lücken füllt, trägt sie oft dazu bei, bestehende Probleme zu verschärfen. Temporärarbeitende sind nicht immer ausreichend in bestehende Teams integriert, was zu einer höheren Belastung des festen Personals führen kann. Langfristige Lösungen erfordern daher nicht nur flexiblere Arbeitsmodelle, sondern auch eine grundsätzliche Verbesserung der Arbeitsbedingungen, wie durch die Pflegeinitiative angestrebt.
Förderung von Wiedereinstiegsprogrammen
Ein weiterer vielversprechender Ansatz ist die Wiedereingliederung von Pflegekräften, die den Beruf aus verschiedenen Gründen verlassen haben. Seit 2018 gibt es in der Schweiz Programme, die Pflegefachpersonen unterstützen, die in ihren Beruf zurückkehren möchten. Diese Programme sollen verlängert und weiter ausgebaut werden, um dem Fachkräftemangel langfristig entgegenzuwirken.
Flexible Arbeitsmodelle und bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie
Pflegefachkräfte wünschen sich zunehmend flexible Arbeitsmodelle, die ihnen eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie ermöglichen. Temporäre Arbeitsverträge und Teilzeitstellen sind unter jüngeren Pflegekräften beliebt, da sie ihre Arbeitszeiten und Freizeit besser planen können. Solche Modelle bieten gleichzeitig die Möglichkeit, den Beruf mit anderen Lebensprioritäten in Einklang zu bringen, was den Beruf langfristig attraktiver macht.
Lösungsansätze: Wie der Pflegeberuf wieder attraktiv werden kann
Verbesserung der Arbeitsbedingungen
Ein entscheidender Schritt zur Lösung des Pflegekräftemangels liegt in der Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Dazu gehören verlässlichere Dienstpläne, bessere Löhne und die Förderung von Weiterbildungen. Die Pflegeinitiative, die kürzlich vom Schweizer Parlament unterstützt wurde, zielt genau auf diese Aspekte ab. Ziel ist es, die Arbeitsbedingungen und beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten zu verbessern, um mehr Menschen für den Pflegeberuf zu gewinnen und zu halten.
Technologische Unterstützung durch Künstliche Intelligenz (KI)
Technologie, insbesondere Künstliche Intelligenz (KI), bietet grosse Potenziale zur Entlastung der Pflegekräfte. KI kann Routinetätigkeiten wie Dokumentation oder präventive Gesundheitsüberwachung automatisieren, sodass mehr Zeit für die direkte Patientenversorgung bleibt. In der Schweiz gibt es bereits Pilotprojekte, die zeigen, dass der Einsatz von Robotern und KI-gesteuerten Systemen die Pflegequalität steigern und gleichzeitig die Kosten senken kann.
Der Weg in eine nachhaltige Zukunft der Pflege
Die Herausforderungen im Pflegebereich sind gross, doch mit den richtigen Reformen und Technologien gibt es einen realistischen Weg, die Pflegeberufe wieder attraktiver zu gestalten. Verbesserte Arbeitsbedingungen, effiziente Nutzung technologischer Hilfsmittel und die Wertschätzung der Arbeit von Pflegekräften sind zentrale Faktoren, um den Fachkräftemangel zu überwinden.
Künstliche Intelligenz wird zwar eine entscheidende Rolle spielen, doch die Lösung liegt nicht allein in der Automatisierung von Aufgaben. Vielmehr geht es darum, den Pflegekräften die Zeit zurückzugeben, die sie benötigen, um sich auf ihre Kernaufgaben zu konzentrieren: die menschliche, fürsorgliche und direkte Betreuung von Patienten.
Der Pflegeberuf bleibt ein zentraler Pfeiler des Gesundheitssystems, und durch gemeinsame Anstrengungen kann diese Krise in eine Chance verwandelt werden, um ein nachhaltigeres und attraktiveres Arbeitsumfeld zu schaffen.
Mit diesen Massnahmen könnte die Pflege in der Schweiz zu einem zukunftssicheren und attraktiveren Berufsfeld werden, das sowohl den Pflegenden als auch den Patienten zugutekommt.
Fazit
Die Pflege in der Schweiz steht vor enormen Herausforderungen, insbesondere durch den Mangel an Pflegekräften, die hohe Arbeitsbelastung und die unzureichende Wertschätzung. Diese Probleme haben zu einer steigenden Zahl an Temporärarbeitenden geführt, die kurzfristig Personallücken füllen, jedoch keine langfristige Lösung darstellen. Es gibt jedoch Hoffnung: Durch gezielte Reformen, wie sie im Rahmen der Pflegeinitiative angestrebt werden, können Arbeitsbedingungen verbessert, die Attraktivität des Pflegeberufs gesteigert und das System stabilisiert werden. Zudem bietet der Einsatz von Künstlicher Intelligenz Potenzial, Pflegekräfte zu entlasten und die Pflegequalität zu verbessern. Langfristige Lösungen erfordern ein Zusammenspiel von besserer Organisation, technologischer Unterstützung und erhöhter Anerkennung der Pflegekräfte, um das Gesundheitswesen nachhaltiger und attraktiver zu gestalten.

Vertiefende Ressourcen und weiterführende Informationen
F&P Robotics und der Assistenzroboter Lio
Informationen über den Einsatz von Lio in Pflegeheimen und Krankenhäusern.
Age-Stiftung – Robotische Systeme in der Pflege
Eine Plattform zur Förderung und Akzeptanz von Rob.
Alterszentrum Emmersberg, Schaffhausen
Projekt zur Evaluation von Lio in der stationären Pflege.
Quellen
Bundesamt für Statistik (BFS). (2024) Pflegepersonalbestand in der Schweiz. Available at: https://www.bfs.admin.ch (Accessed: 2. September 2024).
PwC Schweiz. (2024) Personalmangel und Optimierung der Pflegearbeit. Available at: https://www.pwc.ch (Accessed: 2. September 2024).
Bundesamt für Gesundheit (BAG). (2024) Pflegeinitiative und gesetzliche Reformen. Available at: https://www.bag.admin.ch (Accessed: 5. September 2024).
Careum. (2024) Stress und Arbeitsüberlastung in der Pflege. Available at: https://www.careum.ch (Accessed: 3. September 2024).